Hofporträt | Hofgut Rengoldshausen

Das Hofgut Rengoldshausen liegt bei Überlingen, am Bodensee. Das landwirtschaftliche Anwesen, dessen Herrenhaus im 13. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt ist, wird seit 1932 nach biologisch-dynamischen-Standards bewirtschaftet. Die Familien der Pächtergemeinschaft und ein Großteil ihrer Mitarbeiter leben auch heute auf dem Hofgelände, das wie ein kleines, eigenes Dorf anmutet.

Insgesamt 75 Personen kümmern sich um Landwirtschaft und Vermarktung, um die Gärtnerei und den Samenbau. In der Zucht von Hühnern, die gleichermaßen für Fleisch und Eier gehalten werden, sind die Öko-Landwirte Pioniere, in der Direktvermarktung von Vorzugsmilch, wenn man so will, etablierte Exoten. Darüber hinaus gilt Mechthild Knösel, die für die Braunviehherde des Hofes verantwortlich ist, als Vorreiterin der muttergebundenen Kälberaufzucht.

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Ein Tag auf dem Hofgut Rengoldshausen

Es ist Mittag. Wir speisen an langen Tafeln, es gibt Hähne aus eigener Zucht, dazu Reis und Gemüse. Gefuttert wird mit gutem Appetit, an der frischen Luft, in Gemeinschaft schmeckt es auch mir doppelt gut. Während ich ein Hühnerbein zerteile und genüsslich mit den Ingwermöhren vermische, höre ich: Das Hühnerexperiment ist Teil der Initiative „Hänsel und Gretel“ (Hahn und Huhn), die Rengoldshausen gemeinsam mit dem Tannhof ins Leben gerufen hat. Mit der ersten privaten Zucht eines Doppelnutzungshuhns in Deutschland geben sie mehr als nur eine Antwort auf den Umgang mit männlichen Küken, die bei den Legehybriden als unnütz aussortiert und gleich nach dem Schlüpfen geschreddert werden. Mit dem Aufbau einer artgerechten Zucht in kleineren Herden demonstrieren die Biobauern zum einen die Daseinsberechtigung kleinerer Gemischtbetriebe und ihre Unabhängigkeit von der marktbeherrschenden Geflügelwirtschaft. Später zeigen mir stolze Bressehähne und Hühner, die auf großzügigen Freiflächen mit mobilen Ställen herumspazieren: die Züchter-Gemeinschaft ist auch mit diesem Modell auf einem guten Weg.

Ein Haus für Huhn und Hahn, Hänsel & Gretel, das Bruderhuhn-Projekt der Rengos
Ein Haus für Huhn und Hahn, Hänsel & Gretel, das Bruderhuhn-Projekt der Rengos

Pächtergemeinschaft und Betrieb – ein ganzheitliches Uhrwerk

Überall wird geschäftig gewuselt. Alle paar Minuten klingelt das Telefon von Markus Knösel. Neben Geert Neyrinck und Walter Sorms ist er einer der siebenköpfigen Leitung der Betriebsgemeinschaft und anscheinend Ansprechpartner für alles.

Zugewandt und fröhlich führt er jedes einzelne Gespräch. „Hahn und Huhn“ erfordert gerade viel Aufmerksamkeit, die Möhren haben unter der trocknen Hitze der letzten Wochen gelitten, den Hof ziert eine große Baustelle und Slow Food Deutschland ist im Anflug, um hier sein neues Veranstaltungsformat „Wurzeltour“ zu starten. Nach dem Essen wird, ebenso wie nach dem Frühstück, zudem die reguläre Arbeitsbesprechung stattfinden. Ein ganz normaler Tag auf dem Hofgut.

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Auch in der Gärtnerei und in den Hallen der Grünen Kiste, die von Tuttlingen bis nach Konstanz über 1.200 Kunden mit ihrem Lieferdienst versorgen, ist immer viel zu tun. Aus jeder Ecke spricht ein Unternehmergeist, der einem ganz-heitlichen Verständnis von sinnstiftender Koexistenz mit der Natur entspringt.

Milchviehhaltung à la Rengoldshausen

Mechthild Knösel ist verantwortlich für das Wohlergehen der robusten Schweizer Original Braunvieh-Herde und für die Qualität der Vorzugsmilch. Zweimal am Tag wird diese streng kontrollierte Rohmilch direkt neben dem Stall abgefüllt. Sie darf nur von zugelassenen Betrieben gewonnen werden und ist somit die einzige Form, in der naturbelassene Milch heutzutage noch in den Handel gelangen darf. Heute werden wir Zeuge einer seltenen Zwillingsgeburt. Gemeinsam mit einer Mutter und ihrer achtjährigen Tochter, die sich, wie viele Anwohner aus der Umgebung hier regelmäßig echte frische Milch holen, bestaunen wir das Naturspektakel. Bewundern die Ruhe und Würde, mit der die Kuh die Geburt in dem luftigen, hellen Stall ohne menschliches Eingreifen bewältigt.

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Der geräumige Außenklimastall wurde um die Tiere herum gebaut, nicht umgekehrt. Die Herde genießt viele Freiheiten. Mit durchschnittlich 5.500l pro Kuh und Jahr liegt die Milchleistung deutlich niedriger als bei reinen Milchkuhrassen. Dafür ist das Lebensalter mit durchschnittlich acht bis neun Jahren deutlich höher. Gedeckt werden die Kühe von einem Bullen, auch die Bullenkälber bleiben zwei Jahre auf dem Hof und werden dort gemästet. Gefressen wird Gras, im Winter Heu, ohne Zufütterung von Silage oder Kraftfutter. Von April bis November geht es täglich auf die Weide. In den heißen Sommerwochen wird der Weidegang auf die Nachtzeit verlegt, denn Kühe vertragen Hitze nicht gut. Überhaupt mögen die sensiblen Herdentiere keinen Stress.

Mechthild Knösel arbeitet nach den Prämissen der Low-Stress-Stockmanship (LSS). Das bedeutet, sicher und effizient mit den Rindern zu arbeiten, nicht gegen sie. Die aufrichtige Begeisterung der Demeter-Bäuerin, wird in jeder Geste, jedem Wort spürbar. Dass die Hörner dranbleiben, ist für sie eine Selbstverständlichkeit.

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„Für mich ist muttergebundene Aufzucht wesentlich für eine artgerechte Tierhaltung.“ (Mechthild Knösel)

Die müttergebundene Kälberaufzucht ist seit über zehn Jahren ein zentraler Aspekt von Mechthild Knösels erfolgreichem Herdenmanagement. Von dieser Art der Beziehungsgestaltung profitieren laut ihren Beobachtungen beide Seiten. Die Kälbchen sind aktiver, denn der enge Kontakt fördert die Bindung und die individuelle Entwicklung der Kleinen, ihr Lerntempo, ihre soziale Kompetenz. Auch der Gesundheit tut dieses Konzept gut, denn die Kälber können jederzeit nach Bedarf trinken, auch kurz nach der Geburt schon mal einen Grashalm naschen oder an einer Möhre knabbern.

Bereits in ihrer Meisterarbeit hatte sie drei Gruppen untersucht, eine ammen- und eine muttergebundene sowie eine mit dem Eimer aufgezogene Gruppe. Ihr persönliches Fazit: Wachstum und Gesundheit der muttergebunden aufgezogenen sind nicht zu toppen. In den ersten drei Wochen sind Mutter und Kind rund um die Uhr zusammen, danach stößt die Kuh wieder ein paar Stunden am Tag zum Rest der Herde. In den folgenden drei Monaten wird das Kalb dann zweimal täglich für jeweils eine Stunde zur Mutter gelassen.

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Nach dem Trinken bleibt Kuh und Kalb immer noch genügend Zeit zum Schmusen und Schlecken. Anschließend gehen die Mütter zum Melkstand. Der Rest der so gewonnenen Milch wird als Trinkmilch direktvermarktet. Damit diese Praxis bei allen nachweislichen Erfolgen ihren Ausnahmestatus verliert, müsste sie sich auch wissenschaftlich gestützt etablieren. Das Interesse und die Nachfrage sind laut Aussage von Mechthild Knösel groß. Ihr Erfahrung nach sei es weniger Aufwand, diesen Part in die Tierbeobachtung zu integrieren als für alle Kälber regelmäßig Eimer aufzuhängen.

Das bestätigen ihr auch viele Kollegen, die ihre Aufzuchtmethode nach Exkursionen und Seminaren selbst umgestellt haben. Der Effekt, den die passionierten Landwirte, ihre gesunden Tiere und die saisonale Pflanzenvielfalt auf jeden Besucher ausüben, ist ebenso nachhaltig wie ihr Wirken für Mensch und Natur in ihrer Region.

Dieser Beitrag erschien in abgewandelter Form erstmals im Slow Food Magazin 1-2016 in der Rubrik „Ortstermin“.

Weiterführende Infos

Hier gehts zur Website der „Rengos“ auf dem Hofgut Rengoldshausen.

Der aktuelle Betriebsspiegel des Hofgutes in drei PDFs (je 1 Seite), unterteilt nach Landwirtschaft, Gärtnerei und Samenbau:

rengo_betriebsspiegel_landwirtschaft-10916

rengo_betriebsspiegel_gaertnerei_10916

Und So funktioniert eine Slow Food Wurzeltour.